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  Vortrag im Rahmen der 43. Salzburger Internationalen Werktagung Juli 1994.
Veröffentlichung in: Heinz Rothbucher, Rudolf Seitz, Rosemarie Donnenberg (Hrsg.): Alles hat seine Zeit - Ich habe keine Zeit. Veröffentlichung der Salzburger Internationalen Werktagungen, Band XLIX. Salzburg/Wien 1995 (Otto Müller Verlag).


F R A U E N Z E I T - M Ä N N E R Z E I T

Marianne Krüll

"Die guten Männer reden uns ein, wir lebten unter ihrer Herrschaft wie im Paradiese. Vergebens rufen wir uns heiser, daß wir vom Baum der Erkenntnis gegessen haben und des Paradieses nicht mehr würdig seien. Wie der Engel im Paradies hält der Mann das flammende Schwert in den Händen, aber ... nicht, um uns auszutreiben, sondern um uns gewaltsam gegen unsern Willen darin festzuhalten!"
Hedwig Dohm: Was die Pastoren denken. Berlin 1872. Neuaufl. Zürich 1977, S. 95.

Während seines langen Lebens als Schriftsteller sah Thomas Manns Arbeitstag folgendermaßen aus: Nach dem Frühstück schrieb er von neun Uhr morgens bis zwölf Uhr mittags. Pünktlich um halb eins stand das Mittagessen auf dem Tisch. Danach machte er einen Spaziergang, von vier bis fünf Uhr nachmittags eine Siesta. Am Abend Lektüre, Diktate von Briefen und häufig Geselligkeit oder Ausgehen. Die Kinder mußten während der Arbeits- oder Ruhezeiten des Vaters mucksmäuschenstill sein, wie sich Klaus Mann in seinen Memoiren erinnerte.

Über den Arbeitstag der Mutter Katia Mann schrieb er: "Mutter Mielein leistete Arbeit nicht nur von neun bis 12, sondern den ganzen Tag und jeden Tag aufs neue... Eine Energie, die aus Liebe kommt. ... Lebensgefährtin eines schwierig-schöpferischen Mannes, Mutter von 6 Kindern ... Ihre Pflichten sind ohne Zahl, zahllos die Opfer, die sie bringen muß. ... Nur für andere da, denkt sie kaum an sich selber." Katia sagte im Alter: "Ich habe in meinem Leben nie tun können, was ich hätte tun wollen." (Krüll 1993, S. 423)

(Nebenbemerkt: Ich als - über Thomas Mann - schreibende Familienfrau habe seine idealen Arbeitsbedingungen neidvoll betrachtet. Ich hatte immer das Gefühl, mir fürs Schreiben die Zeit stehlen zu müssen, die "eigentlich" der Familie, d.h. den Kindern und dem Ehemann gehörte.)

Nun, Thomas und Katia Mann sind Menschen des Großbürgertums des Anfangs dieses Jahrhunderts. Fast 100 Jahre später hat sich die Welt grundlegend verändert. Können wir auch heute noch von einem solchen Unterschied in der Alltagszeit und der Lebenszeit / dem Lebensentwurf zwischen Frauen und Männern ausgehen? Gibt es auch in unserer gegenwärtigen Gesellschaft noch immer ähnliche typische Muster von gelebter - oder zum mindesten als Leitbild fortbestehender - Frauen- und Männerzeit?

Ich werde diese Fragen anhand der Alltagszeit sowie der Lebenszeit von Frauen und Männern zu beantworten versuchen und dann einige Gedanken darauf verwenden, was gesellschaftliche Zeitstrukturen mit dem Geschlechterverhältnis zu tun haben, wie also ganze Zeitalter oder Epochen als "männlich" oder "weiblich" gekennzeichnet werden können.

A L L T A G S Z E I T
ÖFFENTLICHE ZEIT
vorherrschende "Normal"-Zeit
PRIVATE ZEIT
weitgehend unsichtbar

(Uhr-Zeit, Kalender-Zeit, "Termin"-Zeit, eindeutig teilbar, lineares Zeitmaß (Ursache-Wirkung), planbar, kontinuierlich, marktförmig meßbar, unpersönlich.)

 

(unberechenbar, nicht meßbar, spontan, fragmentiert, sich zyklisch-wiederholend, nicht planbar, intensiv, auf Menschen bezogen)

BEREICHE:

  • Das eigene Berufs-/Erwerbsleben
  • Dienstleistungen / öffentliche Institutionen wie
    • Schule, Kindergarten
    • Verkehr (Bahnen, Busse usw.)
    • Handel (Geschäfte)
    • Verwaltung
    • Gesundheitsinstitutionen (Sozialbereich, Arzt, Krankenhaus)
    • ...

BEREICHE:

  • "Reproduktion": Neues Leben schaffen: Kinderbetreuung/ -versorgung
  • "Reproduktion": Lebensnotwen- dige Versorgung aller Fami- lienmitglieder (essen, ausruhen, entspannen, spielen)
  • "Beziehungsarbeit" (in Fami- lie, Verwandtschaft, Nachbar- schaft)- Haushaltsmanagement- Transport
  • Ehrenamtliche Tätigkeiten
  • ..

Öffentliche Zeit (Erwerbsleben) wird bezahlt, bzw. muß "gekauft" werden (Dienstleistungen).

Private Zeit wird nicht bezahlt, sondern "aus Liebe" geschenkt!

 

1. Alltagszeit

Betrachten wir zunächst die Alltagszeit, die wir in "öffentliche" und "private" Zeit unterscheiden können:

Die öffentliche Zeit ist unsere vorherrschende "Normal"-Zeit, von der auf dieser Tagung in erster Linie die Rede ist. Sie ist die Uhr-Zeit, die Kalender-Zeit, die eindeutig gemessen und quantifiziert werden kann. Sie ist linear und wird nach Sekunden, Minuten, Stunden, Jahren berechnet. Sie ist Zeit, die von der Person ablösbar ist. Sie liegt dem Ursache-Wirkungs-Prinzip zugrunde.

Die öffentliche Zeit bestimmt das Erwerbsleben von Männern und Frauen. Alle Bereiche der Öffentlichkeit (Dienstleistungen wie Schule, Verkehr, Handel, Verwaltung usw.) sind durch die öffentliche Zeit strukturiert. In ihr sind Frauen und Männer tätig, bzw. müssen sich nach diesen Zeitstrukturen richten. Für die öffentliche Zeit wird als Entlohnung für geleistete Arbeit Geld gezahlt und für sie muß als Konsumgut Geld bezahlt werden. Sie ist ver- oder gekaufte Zeit.

Private Zeit ist dagegen nicht eindeutig meßbar. Sie ist zyklisch, nicht planbar, folgt nicht kalkulierbaren, sondern spontanen Rhythmen. Sie ist auf Menschen bezogen, intensiv, sie ist unberechenbar.

In der privaten Zeit wird Leben "produziert", denn hier wird die nächste Generation sozialisiert. Dies wird allerdings ökonomisch nicht als "Produktion", sondern als "Reproduktion" bezeichnet, zu der auch die "Reproduktion" der Arbeitskraft der Erwachsenen gehört. Die materielle Versorgung der Familienmitglieder mit Nahrung, Kleidung, Reinigung usw. ist jedoch nicht alles. In der privaten Zeit wird "Beziehungsarbeit" für die Familienmitglieder, aber auch für Verwandte, Freunde geleistet, die Wohlbefinden durch persönliche Zuwendung schafft. Hier findet auch Entspannung, Spiel, Ausruhen statt. Die private Zeit dient den intimen Beziehungen. Sie ist als "Zeit" weitgehend unsichtbar. Für private Zeit wird kein Geld gezahlt, sie wird "aus Liebe" geschenkt.

Was hat die Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Zeit nun mit dem Geschlechterverhältnis zu tun?

Der typische, erwerbstätige Familienmann verbringt seine Arbeitszeit vorwiegend in der öffentlichen Zeitstruktur. Die Arbeitszeit von Frauen findet dagegen primär in der privaten Zeitstruktur statt, und zwar auch wenn sie erwerbstätig sind.

Der "Normal-Mann" (als statistische Mehrheit) kann seine Arbeitszeit und seine Freizeit säuberlich trennen. Denn daheim fallen ihm zwar ein paar Pflichten im Haushalt und mit den Kindern zu, vor allem aber darf er sich dort von der Arbeit erholen. Wie Untersuchungen belegen, beteiligen sich Familienmänner nur in sehr geringem Maß an der Versorgung der Kinder, der Haushaltsführung (einkaufen, kochen, putzen, waschen usw.). Familienmänner - so heißt es - haben für diese Dinge keine Zeit, sie müssen ja das Geld verdienen.

Die Familienfrau dagegen muß für diese Arbeiten Zeit haben. Sie arbeitet ununterbrochen vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. Freizeit, wie der Mann sie hat, muß sie sich stehlen. Sie leistet die "Beziehungsarbeit", die keine festen Zeiten kennt. Ihre Zeit ist daher einem fragmentierten, unplanbaren Rhythmus unterworfen und jederzeit von anderen Personen - vor allem den Kindern und dem Mann und auch von pflegebedürftigen Verwandten - abrufbar.

Vor allem aber: Die Arbeitszeit der Frau in der Familie wird nicht bezahlt, sie leistet sie "aus Liebe" (auch wenn die Liebe längst verflogen ist!). Die überwiegend von Frauen geleistete private Arbeit wird im Alltagsverständnis als "unbezahlbar" definiert, weil sie aus "Liebe" geleistet wird. Und wenn es nicht mehr "Liebe" ist, dann muß die "Natur" oder das "Wesen" der Frau herhalten, um ihre Ausbeutung zu rechtfertigen!

Wie auch immer begründet, Familienarbeit ist für die Frau ein Muß, das sie auch meist selbst akzeptiert. Viele Frauen meinen daher, ihrem Mann dankbar dafür sein zu müssen, daß er ihr neben dem Haushaltsgeld ein "Taschengeld" zahlt. (Sie sollte ihm stattdessen einmal vorrechnen, was es kosten würde, wenn ihre Arbeit von einer bezahlten Kraft erledigt würde!)

Ist die Familienfrau erwerbstätig, vermehren sich die Probleme ihrer Alltagszeit um ein Vielfaches: Zum einen ist ihre Zeit von der "linearen", nach der Uhr gemessenen Arbeitszeit im Berufsleben bestimmt, zum anderen von der unplanbaren Zeit für ihre Aufgaben in der Familie, die ihr - auch bei Vollerwerbstätigkeit - nur in äußerst geringem Umfang vom Ehemann abgenommen werden.

Frauen müssen damit fertig werden, zwei gegensätzliche, nicht vereinbare Zeitstrukturen (öffentliche und private) in Einklang zu bringen. Sind Kinder da, muß die erwerbstätige Mutter auch für die Organisation der Kinderbetreuung während ihrer Erwerbstätigkeit, vor allem im Falle von Erkrankung der Kinder sorgen. Von der Öffentlichkeit bekommt sie dabei kaum Unterstützung, möglicherweise gar noch Hindernisse in den Weg gelegt (Schulzeiten, Öffnungszeiten von Kindergärten, fehlende Kindergarten-, Krippenplätze). Sie muß ihre Zeitplanung auf die öffentlichen Zeitstrukturen abstellen, muß die Zeitkoordination für alle Familienmitglieder bewältigen.

Auch muß sie für ihre eigene "Reproduktion" sorgen, denn ihre Arbeitskraft wird nicht von einer anderen Person wiederhergestellt, wie es der erwerbstätige Ehemann selbstverständlich erwarten kann.

Die Technisierung des Haushalts hat zwar erhebliche Zeitersparnis mit sich gebracht, doch wird dies durch mehr Aufwand (häufiger waschen, putzen, wohlbedachter Einkauf usw.) vielfach wieder aufgefressen. Hausfrauenzeit ist dehnbar, nicht planbar!

Die Lösung der Zeitprobleme in der Familie lastet auf ihren Schultern, kostet ihre Zeit. Der Familienmann kann sich immer darauf verlassen, daß sie alles auf sich nimmt, da ja niemand sonst dafür Zeit hat - er am wenigsten, weil er schließlich draußen mehr Geld verdienen kann als sie!

Dazu kommt, daß immer mehr Bereiche der öffentlichen Zeit in den Bereich der privaten Zeit abgedrängt werden, so daß Frauen die Beteiligung am Erwerbsleben erschwert wird (dazu gleich noch mehr).

Nicht zu vergessen ist auch, daß zur privaten, weitgehend von Frauen geleisteten Arbeit auch ehrenamtliche Tätigkeiten, vorwiegend im sozialen Bereich, gehören. Auch hier sind zu 80 % Frauen tätig. Der volkswirtschaftliche Wert wird auf 2 bis 3 Milliarden DM pro Jahr geschätzt.

Zusammenfassend hier ein Schema, das die Geschlechtsgebundenheit der öffentlichen und privaten Zeit darstellt:

"Männerzeit":
      Öffentliche Zeit = Arbeitszeit
      Private Zeit = Freizeit

"Frauenzeit": (bei Erwerbstätigkeit):
      Öffentliche und private Zeit = Arbeitszeit:
       - UNVEREINBARKEIT beider Zeitstrukturen
       - Öffentliche Zeit greift über auf private Arbeitszeit
       - Keine Freizeit

"Frauenzeit": (bei Nur-Hausfrauen-Arbeit):
      Private Zeit = Arbeitszeit
       - Öffentliche Zeit greift über auf private Arbeitszeit
       - Keine Freizeit

Doch vergessen wir nicht das Positive:

Die Notwendigkeit, in beiden Zeitstrukturen tätig zu sein, hat für Frauen auch einen Gewinn, nämlich unsere Flexibilität. Es ist die Fähigkeit, sich auf verschiedenste Dinge, oft gleichzeitig, eintellen zu können.

Dadurch haben wir Frauen auch eine andere Einstellung zur Erwerbstätigkeit: Wir wollen im Berufsleben nicht nur Geld verdienen, sondern auch auf andere Weise, z.B. durch soziale Beziehungen uns bereichern. Die "doppelte Sozialisation" von Frauen bringt mit sich, daß wir den Wert der privaten Arbeitszeit-Strukturen zu schätzen wissen. Wir wollen mehr Zeit, mehr "Eigenzeit", nicht nur mehr "Freizeit".

Auch im Falle von Erwerbslosigkeit entwickeln Frauen, die "zurück ins Haus" müssen, häufig mehr Kreativität als Männer, die oft verzweifelt sind und nichts mit sich anzufangen wissen, bis hin zum Verlust von Identität.

 

2. Lebenszeit

Die Lebenszeit - als Lebensentwurf und als Biographie - ist für Frauen und Männer ebenfalls grundsätzlich verschieden.

Von früher Kindheit an wird "Zeit" gelernt, werden mgeschlechtsspezifische Zeitstrukturen wahrgenommen. Mädchen und Jungen erleben Mutter, Vater, sowie andere Frauen und Männer in ihren unterschiedlichen Zeit-Welten und ordnen sich selbst entsprechend ein, bzw. setzen sich damit auseinander (sei es in Opposition, Protest oder in Anpassung).

Daraus entsteht der für Frauen und Männer unterschiedliche Lebensentwurf. Er ist heute vielfach gebrochen, aber als Ideal doch noch in den tradierten Formen vorhanden, nicht zuletzt auch, weil die von der Gesellschaft vorgegebenen geschlechtsspezifischen Zeitstrukturen einen starken Druck ausüben (siehe dazu den nächsten Abschnitt).

Ich habe das selbst an mir in früheren Zeiten nicht gesehen, weil ich als Akademikerin keinen "typisch weiblichen" Beruf gewählt habe. Und dennoch: Meine männlichen Studienkollegen machten in den 70er Jahren eine schnurgerade Karriere. Ich dagegen hatte eine acht Jahre währende Kinderphase eingeschoben. Es war eine scheinbar "freiwillige" Entscheidung, mein eigener Wunsch. Doch wäre damals mein Mann nie auf die Idee gekommen, auszusetzen (obwohl er damals sogar weniger verdiente als ich). Obwohl ich in meinem Lebensentwurf die volle Gleichberechtigung mit meinem Partner anstrebte, war meine gelebte Biographie letztlich doch "typisch weiblich"!

Auch hierzu wieder ein Schema:

LEBENSENTWURF MÄNNER ("Normalbiographie"): LEBENSENTWURF FRAUEN ("Normalbiographie"):

Jugend / frühes Erwachsenenleben:

  • Ausbildung bezogen auf volle Erwerbstätigkeit
  • volle Erwerbstätigkeit

Jugend /frühes Erwachsenenleben:

  • Ausbildung bezogen auf Vereinbarkeit mit Ehe/Familie
  • Volle Erwerbstätigkeit

Erwachsenenleben:

  • Volle Erwerbstätigkeit
  • Keine oder minimale Familienarbeit

Erwachsenenleben:

  • Familienarbeit "Hauptberuf"!
  • Aufgabe oder Reduktion der Berufstätigkeit in Familienphase
  • evtl. Rückkehr in volle Erwerbstätigkeit

Alter:

  • Rentnerleben mit Partnerin

Alter:

  • Rentnerinnenleben mit Partner
  • Rentnerinnenleben allein

Für Männer - als Arbeiter, Beamte, Angestellte, Freiberufler/Selbständige - ist der Normal-Lebensentwurf auf den Beruf bezogen. Ehe und Familie sind der Berufslebenszeit nachgeordnet, bzw. stützen das Berufsleben. Ein Mann plant das Leben auf den Beruf (Karriere) hin. Die Ehefrau muß dazu passen, bzw. sich anpassen (Ortswechsel, Fortbildung). (Paßt sie nicht mehr, findet er meist schnell eine andere!)

Eine Berufskarriere ist für einen Mann nur dann möglich, wenn er eine Ehefrau hat, die die private Arbeit für ihn erledigt. Es braucht also zwei oder ein-einhalb Personen, um eine Berufskarriere zu verwirklichen. Damit sind Familie und Kinder für die Berufslaufbahn eines Mannes förderlich, denn er muß ja nun für alle Geld verdienen.

Für Frauen ist der Lebensentwurf primär auf Ehe/Familie bezogen, der Beruf ist nachgeordnet. Die lebenslange Versorgung von anderen, Kinder, Ehemann, alte Eltern/Schwiegereltern, hat Vorrang in der "normalen" Lebens-Zeit-Planung von Frauen.

Frauen wollen zwar auch beides, Erwerbstätigkeit und Familie, doch können sie die private Arbeitszeit nicht delegieren, müssen sie für sich und den Ehemann / die Kinder bewältigen. Frauenbiographien sind daher durch Brüche gekennzeichnet: "Familienphasen" unterbrechen Erwerbstätigkeit. Bis zur Ehe oder zum ersten Kind wird Erwerbstätigkeit voll ausgeübt, dann erfolgt die Umstellung Teilzeit-Arbeit oder auf das Nur-Hausfrauen-Dasein, dann - wenn möglich - Rückkehr in die Erwerbstätigkeit, allerdings meist in weniger qualifizierte Tätigkeiten, da die Berufspraxis fehlt.

Dieses Drei-Phasen-Modell war für Frauen meiner Generation noch mehr oder weniger der einzig denkbare Lebensentwurf. Heutige junge Frauen haben die Hoffnung, daß ihre Partner zu den "neuen" Männern zählen, die bereit sind, die Privatarbeit in der Familie mit ihnen zu teilen. Doch zeigen Untersuchungen (Gisela Notz), daß sich die jungen Männer nicht grundsätzlich anders verhalten als früher. Ungebrochen erwarten sie von ihrer Partnerin, daß sie ihnen die Last der privaten Arbeit abnimmt, daß ihre Erwerbstätigkeit Vorrang hat.

Immer impliziert der Lebensentwurf von Frauen einen Karriereverzicht, denn eine Höherqualifikation wie Männer sie erreichen können, ist wegen der doppelten Arbeit im Erwerbsleben und im privaten Reproduktionsbereich für Frauen nicht möglich.

Wenn Frauen den Beruf an die erste Stelle setzen und auf Ehe und/oder Kinder verzichten, obliegt ihnen immer noch ihre eigene Reproduktionsarbeit. Der "Hausmann" ist die große Ausnahme, auch wenn die Medien ihn immer wieder ins Rampenlicht holen. Wenn ein Mann die Privatarbeit in der Familie übernimmt, geschieht dies meist nur für kurze Phasen im gemeinsamen Leben, etwa während seiner Ausbildung, oder im Falle von Erwerbslosigkeit. Sobald er kann, überläßt er diesen Bereich wieder der Partnerin.

Man sagt, die Frau habe "Wahlmöglichkeiten", sich für die Familie oder den Beruf entscheiden zu können, die der Mann nicht habe. Dabei wird jedoch vergessen, daß sie niemals die "Normalbiographie" des Mannes wählen kann, weil sie niemanden hat, der ihr seine Zeit für die Reproduktionsarbeit "schenkt". In ihrem Lebensentwurf heißt es also für die Frau, sich zwischen zwei Übeln zu entscheiden, während der Mann das bessere Teil wählen kann!

In ihrer Jugend wählen Frauen entweder von vornherein eine Ausbildung für Berufe, die nicht so streng dem linearen Zeitmuster unterworfen sind (die typischen "Frauenberufe"), oder sie planen die Unterbrechungen durch die "Familienphase" in ihrer Berufskarriere gleich mit ein, was ihnen einen Aufstieg in höhere und entsprechend besser bezahlte Positionen unmöglich macht. Wer Frauen den Vorwurf macht, nicht genügend Ehrgeiz zu haben, nicht wie Männer Aufstiegsstreben zu zeigen, verkennt, daß Frauen immer eine doppelte Lebensplanung machen müssen, die eine geradlinige Karriere ausschließt.

Damit bleibt der Lebensentwurf der meisten Frauen auf den Mann als (Haupt?)Verdiener bezogen, und sie von ihm abhängig. Welch entscheidende Nachteile sie damit für ihre Biographie in Kauf nehmen, zeigt sich für viele erst im Verlauf der Jahre: Erwerbslosigkeit ist inzwischen eine Gefahr, die alle betreffen kann. Gerade hier zeigt sich, daß die Absicherung durch den "verdienenden" Ehemann in der Hausfrauenehe überhaupt keine Sicherheit darstellt.

Die Erwerbslosigkeit von Frauen wird - auch von vielen Frauen selbst - nicht als so einschneidend angesehen wie für Männer, denn die Frau kann ja "an den Herd" zurück. Sie ist - so betrachtet - nie "arbeitslos", denn ihr Hauptarbeitsplatz ist ja immer im Haushalt (Unsere Sprache verrät es: "Arbeitslosigkeit" ist eine Erfahrung von Männern!). Welch ein Verlust an Selbstwert für Frauen damit verbunden ist, daß sie immer wieder aufs Abstellgleis gestellt werden können, wird dabei vergessen.

Wenn Ehen scheitern, zeigen sich die Nachteile der doppelten Lebensplanung von Frauen besonders gravierend: Da sie nur selten ein ausreichendes eigenes Einkommen haben, sind sie auf die Zahlungen des Mannes angewiesen, so daß eine klare Trennung nur selten möglich ist. Im Lebensentwurf von Frauen und Männern ist die Scheidung nur selten einbezogen, obwohl inzwischen ein Drittel aller Ehen geschieden werden. scheitern. Die Zahl der Ehen, die als gescheitert anzusehen sind, wird auf nochmal ein Drittel geschätzt. Eine Trennung erfolgt meist nicht, weil die Frau ökonomisch vom erwerbstätigen Ehemann abhängig ist.

Eine Wiederverheiratung ist übrigens bei Männer sehr viel häufiger als bei Frauen. Von den geschiedenen Männern über 40 heiraten zwei Drittel erneut, von den Frauen nur ein Drittel.

Und wie sieht es im Alter aus? Frauen sind in der Mehrheit in ihrer Alterssicherung vom Mann abhängig, was ihnen häufig den Weg zum Sozialamt beschert. Armut im Alter ist ein Frauenphänomen.

Doch suchen wir auch hier einmal etwas Positives: Frauen haben eine um sechs bis sieben Jahre längere Lebenserwartung als Männer. Die Ursachen für diese längere Lebenszeit von Frauen sind nicht bekannt und seltsamerweise gibt es auch so gut wie keine Forschungen darüber. Eine der wenigen Altersforscherinnen, die dazu Erhebungen durchgeführt hat, vermutet, daß es mit der weiblichen Biographie zusammenhängt, die den Frauen mehr Flexibilität abfordert, sowie mehr Fähigkeit, für sich selbst im Alltag zu sorgen. (Insa Fooken) Auffallend jedenfalls ist, daß Männer, die verheiratet sind, eine höhere Lebenserwartung haben als Witwer oder Ledige, während Frauen eher ein hohes Alter erwarten können, wenn sie verwitwet sind.

Wie auch immer wir die Lebenszeit von Frauen und Männern betrachten, ob - vorausplanend - als Lebensentwurf oder - rückblickend - als Biographie, immer ist der geschlechtsspezifische Unterschied überdeutlich auszumachen.

 

3. Gesellschaftliche Zeit - Das Männer-Zeitalter

Betrachten wir nun die geschlechtsspezifischen Zeitstrukturen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Hier erweist sich das Geschlecht als Strukturkategorie der Gesellschaft, die alle Bereiche unseres sozialen Lebens durchdringt.

Werfen wir zunächst einen Blick in die Vergangenheit: Die Unterschiede zwischen Frauen- und Männerzeit haben sich erst mit der Industrialisierung herausgebildet. In Zeiten, als die Mehrheit der Bevölkerung noch in der Landwirtschaft oder im Handwerk tätig war, war "Zeit" für Frauen und Männer trotz unterschiedlicher Tätigkeiten in ihrer Struktur ähnlich.

Für beide Geschlechter war die Arbeit aufgabenorientiert und nicht nach der Uhrzeit strukturiert wie im heutigen Erwerbsleben. Die Herkunft des Familieneinkommens war nicht eindeutig bestimmbar, Frau und Mann trugen durch ihre Arbeit gleichermaßen dazu bei.

Kinder "liefen nebenher", für sie gab es noch keine formale Schulbildung. Ihre Sozialisation erfolgte im direkten Zusammenleben mit den Erwachsenen. Man kann sagen, daß Kindheit als Lebensabschnitt mit einer eigenen Zeitstruktur erst eine "Erfindung" der Moderne ist.

Durch die Industrialisierung wurde die Produktionsstätte vom Haushalt getrennt und einem anderen, eben dem linearen Uhrzeit-Muster unterworfen. Nur diese Arbeit brachte Geld. Damit war Zeit vermarktbar. Zeit wurde zu Geld, und Zeit, die kein Geld einbrachte, wurde wertlos.

Die enorme wirtschaftliche Produktionssteigerung durch Zerteilung der Arbeit (Fließband, Taylorismus) wurde in heutiger Zeit über Computerisierung ausgeweitet auf andere Arbeitsbereiche wie Verwaltung und Handel.

Doch es gibt Arbeitsbereiche, die nicht der digitalisierten Zeit unterworfen werden können. Dazu gehört die Familien- und Hausarbeit, durch die die Reproduktion der Arbeitskraft für das Erwerbsleben gewährleistet wird. Sie wurde zur unbezahlten Privatarbeit erklärt, die von Frauen geleistet wird. Dazu gehören auch pflegerische Arbeitsbereiche (Kranken-, Altenpflege), die als "weibliche" Tätigkeiten gelten, nicht nur, weil überwiegend Frauen in ihnen tätig sind, sondern auch, weil sie sozusagen aus dem privaten - unbezahlten - Bereich in den öffentlichen ausgelagert sind, dort aber nun zu den minderbezahlten Tätigkeiten gehören.

Auf gesellschaftlicher Ebene entstand ein Austausch zwischen privater und öffentlicher Zeit: Alle Arbeiten, die sehr zeitaufwendig sind, wurden dem "wertlosen" oder "minderwertigen" Zeitbereich zugeschrieben, wurden damit billig oder gar kostenfrei.

Ein geteilter Arbeitsmarkt entstand, in dem Frauenberufe grundsätzlich weniger soziales Ansehen haben. Damit erfolgte ein Ausschluß von Frauen aus allen jenen Erwerbsbereichen, die sozialen Einfluß und subjektive Autonomie gewährleisten: Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Rechtswesen, Medien.

Auch innerhalb von gleichen Berufszweigen nehmen Männer die Führungspositionen ein, Frauen verbleiben bei gleicher Qualifikation in untergeordneten, dienenden Positionen: Im Handel sind zwar überwiegend Frauen als Verkäuferinnen tätig, Abteilungsleiter sind jedoch Männer; in Schulen mit einem hohen Anteil von Frauen im Kollegium wird einer der wenigen Männer zum Schulleiter bestimmt.

In der Gegenwart hat sich - nicht zuletzt durch die Frauenbewegung - vieles geändert. Frauen haben in der Öffentlichkeit an Einfluß gewonnen. Auch haben die Einrichtungen des sozialen Wohlfahrtsstaats die privaten Pflege- und Versorgungsarbeiten von Frauen entlastet. Dennoch kann von einer grundsätzlichen gesellschaftlichen Umorientierung nicht die Rede sein.

Denn in Zeiten ökonomischer Krisen dreht sich das Rad sofort wieder um: Die kostenaufwendigen Leistungen im Sozialbereich werden privatisiert, d.h. den Frauen als Familienarbeit zugeschrieben. Wenn Kindergärten geschlossen werden oder die Altenversorgung nicht zu bezahlen ist, müssen Frauen einspringen.

Besonders kraß ist dies in den neuen Bundesländern zu beobachten. Die vom Staat bereitgestellten Versorgungseinrichtungen (Kinderkrippen, Kindergärten, betriebliche Versorgung mit Essen usw.) ermöglichten die Vollerwerbstätigkeit von Frauen. Ganz abgesehen davon, daß auch in der Ex-DDR ein großer Teil der privaten Familienarbeit auf den Schultern der Frauen lag, sie also auch die widersprüchlichen Zeitstrukturen von Erwerbstätigkeit und Familienarbeit vereinbaren mußten, erwies sich nach der Wende die Gleichheit der Geschlechter als bloße Ideologie: Männer nahmen wie selbstverständlich den öffentlichen, bezahlten Arbeitsbereich für sich in Anspruch und verwiesen die Frauen auf den unbezahlten privaten Bereich.

Die Zukunft sieht düster aus. Denn nicht nur wegen der zu erwartenden ökonomischen Krise, sondern auch wegen der zunehmenden Zahl von pflegebedürftigen Menschen durch die Überalterung der Bevölkerung werden die öffentlichen Mittel bei steigendem Bedarf immer knapper. Was liegt da näher, als wieder einmal an die mitmenschliche Liebe von uns Frauen zu appellieren, diese Arbeiten umsonst zu übernehmen.

Öffentliche Zeit wird von Männern kontrolliert, ist Männer-Zeit. Sie stehen in Führungspositionen, in denen sie die Macht haben, Zeit zuzuteilen und einzuteilen. Mehr noch: Männer haben die Macht der Definition über die Zeit, sie können bestimmen, welche Zeit als öffentliche, bezahlte und welche als private und unbezahlte gelten soll. Diese Definition geschieht durch Theorien, die ausschließlich von Männern formuliert wurden und werden.

Weder in bürgerlichen noch in marxistischen Theorien der Arbeit wurde die weibliche unbezahlte Arbeitskraft trotz ihres enormen gesellschaftlichen Wertes berücksichtigt. Das Arbeitsmarktmodell sämtlicher Arbeitstheorien basiert auf der männlichen Arbeitsbiographie, in der die private Frauenarbeit unsichtbar gemacht wird (Nowotny, S. 129).

Die von Frauen geleistete Privatarbeit wird in ökonomischen Berechnungen als kostenlose "Ressource" - etwa wie Luft und Wasser - betrachtet oder aber gänzlich übersehen. Frauenarbeit in der Familie gilt auch theoretisch nicht als "Arbeit". Kein Wunder daher, daß für viele Frauen ihre Familien- und Hausarbeit auch in unseren eigenen Köpfen keine "Arbeit" ist (Nur-Hausfrauen sagen oft: ich arbeite nicht!).

Erst durch die feministische Frauenforschung ist diese Ungeheuerlichkeit aufgezeigt worden: Unser gesamtes Wirtschaftssystem würde zusammenbrechen, wenn die Hälfte der Bevölkerung, eben wir Frauen, nicht weiterhin "aus Liebe" unsere Arbeitszeit kostenlos zur Verfügung stellen würden!

Frauen fordern daher eine neue Zeitkultur, in der die gesellschaftlich unabdingbare private Arbeitszeit nicht weiter unsichtbar gemacht wird, sondern neu verteilt wird. Helga Nowotny, eine Soziologin aus Wien, formuliert diese Forderung so:

"Ohne freiwillig erbrachte und unbezahlte Arbeit, und das heißt Arbeit und Zeit der Frauen, könnte (...) weder der jetzt erreichte (Lebens)standard aufrecht erhalten werden, noch wird er sich angesichts steigender Kosten im öffentlichen Sektor halten lassen. Es geht hier also um das Verhältnis der bezahlten öffentlichen Zeit und der privaten unbezahlten Zeit. Eine abgegrenzte Privatsphäre, die dem Eingriff des Staates entzogen wäre, gibt es nicht mehr. (...) In den Zeitkonflikten der Frauen kommen alle anderen Konfliktlinien zwischen Markt und Staat, zwischen Arbeits- und Freizeit, unfreiwilliger und freiwilliger, bezahlter und unbezahlter Zeit exemplarisch zum Ausdruck. (...) Der hier aufbrechende Konflikt ist ein Ringen um eine neue Zeitkultur." (Nowotny 1993, S. 116)

 

4. Die neue Zeitkultur - eine Utopie

Wie könnte eine solche neue Zeitkultur aussehen? Meine Gedanken dazu sind - ich weiß es wohl - nicht hier und heute umsetzbar, sondern zunächst eine Utopie. Wir brauchen aber Utopien, um überhaupt etwas zu bewegen. Für mich jedenfalls stellt meine Utopie einer neuen Zeitkultur eine Herausforderung dar, mich dafür einzusetzen, daß sie eine Realität wird.

Es geht, so meine ich, darum, ein gesellschaftliches Bewußtsein zu fördern oder überhaupt erst einmal zu schaffen, daß private Zeit nicht "Freizeit" ist, sondern die Arbeitszeit von Frauen darstellt. Es darf nicht mehr hingenommen werden, daß politische Parteien oder maßgebliche Institutionen wie die Kirchen der Frau "ihren Platz" in der Familie zuweisen und ihr suggeriern, daß es ihrem "Wesen" entspräche, sich "aus Liebe" für ihre Lieben zu opfern. Vielmehr müssen wir uns alle, Frauen und Männer, von dieser Vernebelung unserer Köpfe befreien und erkennen, daß die private, unbezahlte Frauenarbeit die Basis für den Bestand unserer Gesellschaften darstellt.

Wir, die wir in Einrichtungen des Bildungswesens tätig sind, haben viele Möglichkeiten, dieses Bewußtsein zu wecken und zu vermitteln. Lassen Sie uns nicht unbedacht die stereotypen Rollenbilder vom "natürlichen" Frau- und Mann-Sein an die nächste Generation weitergeben, sondern setzen wir uns, wo immer wir können, dafür ein, daß bezahlte Arbeitszeit nicht für mehr wert erachtet wird als unbezahlte, daß die Arbeit von Frauen als minderwertiger gilt als die von Männern.

Fordern wir die Männer heraus, sich mit uns die private Arbeitszeit zu teilen. Fangen wir in unseren eigenen Familien an. Aber tragen wir unsere Forderungen auch in die Öffentlichkeit:

In einer Gesellschaft, in der der Wert der Arbeit in Geld gemessen und honoriert wird, muß auch die private Arbeit endlich nach ihrem Geldwert bemessen und gewürdigt werden. Es ist evident, daß dies eine grundlegende Umstrukturierung unseres Wirtschaftssystems bedeuten würde, weshalb diese Forderung zur Zeit eben auch noch eine Utopie ist. Wer jedoch sagt, daß dies nicht machbar sei, sagt zugleich, daß er weiterhin unser gesamtes Gesellschaftssystem auf der Ausbeutung der privaten Frauenarbeit zu gründen gewillt ist.

Die neue Zeitkultur heißt für mich aber auch, daß die öffentliche, von Männern bestimmte Arbeitszeit jene Aspekte der privaten Frauenzeit integriert, auf die wir Frauen - zu recht - nicht verzichten wollen: Mitmenschlichkeit, Spontaneität, Flexibilität, Rücksichtnahme, Fürsorge sollten nicht weiterhin in den privaten Bereich abgeschoben werden, sondern höchste Werte im öffentlichen Bereich darstellen. Durch die Teilung in Männer- und Frauenzeit haben wir eine Ganzheit des Seins verloren, die, so scheint mir, entscheidend dazu beiträgt, daß wir in einer Heil-losen Zeit leben.

In anderen Kulturen und auch in der Vergangenheit unserer eigenen Kultur können wir Modelle für gelebte Zeitstrukturen finden, in denen Frauen und Männer nicht in getrennten Zeitstrukturen leben müssen, sondern am ganzen Leben teilhaben können. Bali ist eine solche Kultur, in der Arbeitszeit und Familienzeit nicht in öffentliche Männerzeit und private Frauenzeit aufgeteilt ist, sondern ein gemeinsamer Zeitrhythmus für alle gilt.

Gewiß, wir können Bali nicht hierher importieren. Doch bin ich sicher, daß vieles bei uns verändert werden könnte, ja verändert werden muß, wenn wir weitere Zerstörungen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens vermeiden wollen. Die zyklische, aufgaben- und menschenbezogene Zeit darf nicht mehr "Frauenzeit" bleiben, sondern muß gesellschaftlich anerkannt werden, muß zur "Normalzeit" werden. Lebensbereiche wie Pädagogik, Medizin, Geburtshilfe, Krankenpflege sind besonders dringend wieder zu einer nicht-linear geplanten Zeitstruktur zurückzuführen, wie in vielen Vorträgen auf dieser Tagung eindrücklich dargestellt wurde.

Die Erkenntnis, daß die inhumanen Zeitstrukturen, die uns im Alltag über unser ganzes Leben hinweg aufgezwungen werden, in entscheidender Weise mit dem Geschlechterverhältnis zusammenhängen, eröffnet uns, so meine ich, neue Wege der Veränderung. Da Männern diese Geschlechterperspektive immer noch weitgehend versperrt ist, sind es wir Frauen, die hier Vorreiterinnen sein müssen. Vielleicht wird dieses Jahrhundert einmal als "Zeitalter der Frauenrevolution" oder der "Aufklärung der Geschlechterverhältnisse" in die Geschichte eingehen. Ich wünsche mir und uns allen, daß uns damit auch anstelle der geteilten Frauen- und Männer-Zeit eine "Menschen-Zeit" beschert sein möge.

Dieser Kongreß gibt mir Hoffnung.

 

LITERATUR

Beck-Gernsheim, Elisabeth (1989): Mutterwerden - der Sprung in ein anderes Leben. Frankfurt.
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Lerner, Gerda (1991): Die Entstehung des Patriarchats. Frankfurt. (Orig. amerik.: The Creation of Patriarchy. New York 1986).
Metz-Göckel, Sigrid, Ursula Müller (1986): Der Mann. Die Brigitte-Studie. Weinheim/Basel.
Notz, Gisela (1985): Mehr Zeit zum Schaffen, Träumen, Kämpfen. Für eine feministische Arbeitszeitpolitik. In: Eckart Hildebrandt, Eberhard Schmidt, Hans Joachim Sperling (Hg.): Arbeit zwischen Gift und Grün. Berlin.
Notz, Gisela (1986): Frauenarbeit zum Nulltarif. In: AG Frauenforschung der Uni Bonn: Studium Feminale. Bonn.
Notz, Gisela (1991): "Du bist als Frau um einiges mehr gebunden als der Mann". Die Auswirkungen der Geburt des ersten Kindes auf die Lebens- und Arbeitsplanung von Müttern und Vätern. Bonn.
Nowotny, Helga (1993): Eigenzeit. Entstehung und Strukturierung eines Zeitgefühls. Frankfurt.
Rerrich, Maria S. (1990): Balanceakt Familie. Zwischen alten Leitbildern und neuen Lebensformen. Freiburg.
Rerrich, Maria S. (1990a): Ein gleiches gutes Leben für alle? Über Ungleichheitserfahrungen im familialen Alltag. In: Peter A. Berger, Stefan Hradil (Hg.): Lebenslagen, Lebensläufe, Lebensstile. Göttingen.
Wiegmann, Barbelies (1980): Das Ende der Hausfrauenehe. Plädoyer gegen eine trügerische Existenzgrundlage. Reinbek.

 
 
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