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Marianne Krüll
Freud und sein Vater - Die Entstehung der Psychoanalyse und Freuds ungelöste Vaterbindung

Mit einem Geleitwort von Helm Stierlin.
346 Seiten, mit Fotos und umfangreichem Anhang.

Erstveröffentlichung: C.H. Beck-Verlag, München 1979
ISBN 3-406-041418

Taschenbuch: Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 1992,
überarbeitete Neuauflage, mit neuem Vorwort.
398 Seiten. ISBN 3-596-11078-5.

Buchcover: Freud und sein Vater 2004Neuauflage: Psychosozial-Verlag, Gießen, 2004
Reihe: Bibliothek der Psychoanalyse
Um ein neues Vorwort erweiterte Neuauflage der Ausgabe von 1992
ISBN 3-89806-361-5, 404 Seiten, brosch. Euro (D) 34,00, SFr 58,90

Übersetzungen   Inhaltsverzeichnis   Vorwort zur Neuauflage 2004   Verlagsankündigung   Rezensionen

 

   
Übersetzungen:  
Italienisch: "Padre e figlio. Vita familiare di Freud". Torino 1982 (Editore Boringhieri) CL 61-882-6. Übers.: Ada Cinato
Französisch: "Sigmund, fils de Jacob. Un lien non dénoué". Paris 1983 (Gallimard) ISBN 2-07-024965-4. Übers.: Marielène Weber
Amerikanisch: "Freud and His Father". New York 1986 (Norton & Co.)
ISBN 0-393-01854-7. Übers.: Arnold J. Pomerans
Englisch: (wie amerik. Ausgabe) "Freud and His Father". London, Melbourne, Auckland, Johannesburg 1987 (Hutchinson). ISBN 0-09-155900-6.

Japanisch:
"Freud und sein Vater". Tokyo 1987 (Shisaku-sha)
ISBN 4-7835-1130-6 C 1011. Übers.: Setsuo Mizuno, Kimiko Yamasito (Murakami)
Türkisch: in Vorbereitung
  Buchcover: Freud und sein Vater. Ausländische Ausgaben

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Inhaltsverzeichnis:

Geleitwort von Helm Stierlin
Vorwort

1.      Die Krise in Freuds Leben und Denken
1.1      Vor der Krise (1885-1896)
1.1.1      Die Anfänge einer Theorie der Hysterie -
             Jean Martin Charcot, Josef Breuer
1.1.2      Von der "Sexualtheorie" zur "Verführungstheorie" -
             Die Fließ-Periode
1.1.2.1      Wilhelm Fließ
1.1.2.2      Die Erklärung der Aktualneurosen durch
                die Verführungstheorie
1.1.2.3      Die Emma-Episode
1.1.2.4      Die Entwicklung der Verführungstheorie
1.1.2.5      Die Erklärung der Abwehrneurosen durch
                die Verführungstheorie
1.2      Die akute Phase der Krise (Sommer 1896 - Herbst 1897)
1.2.1      Der Tod Jakob Freuds
1.2.2      Der Kampf um die Beibehaltung der Verführungstheorie
1.2.3      Die Selbstanalyse
1.2.4      Der Widerruf der Verführungstgheorie
1.3      Nach der Krise (Winter 1897/98 - Herbst 1899)
1.3.1      Von der Verführungstheorie zur Ödipustheorie
1.3.2      Die Traumdeutung
1.4      Schlußfolgerungen: Die Bedeutung des Widerrufs der
           Verführungstheorie

2.      Die Prähistorie: Kallamon Jacob Freud
2.1      Geschichte der politischen und geistigen Bewegungen im
           Judentum Galiziens
2.2      Das Leben im galizischen "Stetl"
2.3      Tysmenitz
2.4      Jakob Freuds Kindheit und seine erste Ehe mit
           Sally Kanner in Tysmenitz
2.5      Der Bruch mit der Tradition
2.5.1      Der Wanderjude Jakob Freud
2.5.2      Jakobs Ehe mit Rebekka
2.5.3      Jakobs Ehe mit Amalie Nathanson
2.5.4      Der Tod Schlomo Freuds
2.6      Schlußfolgerungen: Das Geheimnis des "Alten"

3.      Das Trauma: Kindheit und Jugend Sigmund Freuds
3.1      Das Netz von Beziehungen in Freiberg
3.1.1      Der Vater Jakob
3.1.2      Die Mutter Amalie
3.1.3      Die Kinderfrau Resi Wittek
3.1.4      Der Halbbruder Emanuel
3.1.5      Maria, die Frau Emanuels
3.1.6      Der Halbbruder Philipp
3.1.7      Der Neffe Johannes (John)
3.1.8      Die Nichte Pauline
3.1.9      Die Schwester Anna
3.1.10      Der Bruder Julius
3.1.11      Rebekka, die zweite Frau Jakobs
3.1.12      Andere Personen in Freiberg
3.1.13      Verwandte des Vaters in Tysmenitz, Jassy, Breslau,
               Wien und anderen Orten
3.1.14      Verwandte der Mutter
3.2      Die Abreise aus Freiberg
3.3      Die ersten Jahre in Wien
3.3.1      Die materielle Lage der Freuds
3.3.2      Sigmund Freuds erste Erfahrungen in Wien
3.3.3      Das Lernen mit dem Vater
3.3.4      Die Falschgeldaffäre
3.3.5      Der Bruder Alexander
3.3.6      Die Gymnasialzeit
3.4      Die Besuche in Freiberg
3.5      Die Halbbrüder in England
3.6      Schlußfolgerungen: Der Auftrag des Vaters und die
           Krise von 1896/97

4.      Die Erfüllung des Auftrags
4.1      Sigmund Freud und der Moses des Michelangelo
4.1.1      Sigmund Freud, des Sohn des Moses-Vaters
4.1.2      Sigmund Freud, der Patriarch in der Urhorde
4.1.2.1      Die "Söhne" Adler, Stekel, Jung
4.1.2.2      Totem und Tabu
4.2      Sigmund Freud, der Mann Moses
4.3      Schlußfolgerungen: Abrechnung und Bilanz

Anhang
Anmerkungen
Literaturverzeichnis, Verzeichnis der Abbildungen und Übersichten
Namenregister

 
 

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Vorwort der Autorin zur Neuauflage von 2004 im Psychosozial-Verlag:

Es ist mir eine große Freude, daß "Freud und sein Vater" 25 Jahre nach der Erstausgabe in einer Neuauflage wieder erscheint, denn damit ist ein wichtiger Quellentext zum Verständnis der Geschichte der Psychoanalyse für die Fachwelt endlich wieder verfügbar. Da Biographie und Werkentstehung miteinander verschränkt dargestellt werden, kann man den kreativen Prozeß verfolgen, durch den Freud zu seinen bahnbrechenden Ideen gekommen ist. Freuds Ringen um ein Verstehen seiner eigenen Person und seiner Mitmenschen wird nachvollziehbar, und man begreift, welche persönlichen, innerpsychischen wie auch gesellschaftlich-ideologischen Hindernisse er überwinden mußte, um vor dem Hintergrund gewaltiger historischer Veränderungen das große Gedankengebäude der Psychoanalyse zu entwickeln.
Und da mein Buch auch als spannende, über mehrere Generationen reichende Familiengeschichte jüdischen Lebens im 19. Jahrhundert gelesen werden kann, hat es nicht nur für Fachleute, sondern auch für andere interessierte Leserinnen und Leser seinen Reiz.
Inhaltlich geht es um ein Thema, das, so glaube ich, gerade heute in der kontrovers geführten Diskussion um die Folgen von traumatischen Kindheitserlebnissen eine besondere Aktualität besitzt. Denn Freud hatte in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine Traumatheorie entwickelt, die sogenannte "Verführungstheorie", in der er davon ausging, daß die psychischen Störungen seiner - meist weiblichen - Patienten auf real erlittene sexualisierte Gewalt durch nahestehende - meist männliche - Menschen, häufig den Vater, zurückzuführen seien. Diese Erlebnisse, so meinte er, seien nicht erinnerbar, sondern verdrängt, könnten sich aber in Krisen als Symptome manifestieren. Freud nahm also vor mehr als hundert Jahren eine Position ein, die viele Therapeutinnen und Therapeuten heute vertreten.
Allerdings gab Freud diese Verführungstheorie auf und ersetzte sie durch die allseits bekannte Ödipustheorie. Danach muß es keine real erlebte sexualisierte Gewalt in der Kindheit gegeben haben, vielmehr kann das Kind von sich aus lediglich Fantasien auf die Eltern gerichtet haben. Die Gründe für diese Wende in seinem Denken und demzufolge auch seinem therapeutischen Handeln habe ich in meinem Buch ausführlich dargelegt und analysiert.
Und so wie Freud vor hundert Jahren zögern auch heute viele Therapeutinnen und Therapeuten, ein reales Geschehen von sexualisierter Gewalt in der Kindheit zu vermuten und gehen stattdessen davon aus, daß die Person solche Ereignisse nur fantasiere.
Ich stelle mir vor, daß sowohl Therapeutinnen und Therapeuten als auch Betroffene Interesse daran finden, sich sozusagen auf Freuds Spuren selbst mit der Frage auseinanderzusetzen, ob Kindheitstraumata Realität oder Fantasie sind. In diesem Sinne wünsche ich meinen Leserinnen und Lesern eine spannende Entdeckungsreise in die Gedanken- und Gefühlswelten Sigmund Freuds wie auch ich sie während meiner Recherchen vor nunmehr über 30 Jahren erlebte. Obwohl meine sprachliche Wiedergabe dieser Entdeckungen damals noch ein wenig "akademisch" war und daher das Buch vielleicht nicht ganz so leicht zu lesen ist wie meine späteren Bücher, glaube ich, daß auch hier mein anteilnehmendes persönliches Engagement zu spüren ist.
Sophie Freud-Loewenstein, eine der Enkelinnen Freuds, hat mein Buch so verstanden. In einer Rezension schrieb sie: "Als eine Enkelin Sigmund Freuds kann ich diesem Buch gegenüber nicht objektiv sein, da es eine so tiefe, persönliche Bedeutung für mich hat. Es gab mir die aufregende Gelegenheit, meine eigenen Wurzeln im Ostjudentum des l8. Jahrhunderts zu entdecken. ...Ich begrüße es, daß Marianne Krüll dieses Buch geschrieben hat, weil ich meine, daß es ... aus dem Bemühen um Versöhnung und aus echter Liebe entstanden ist."
Bonn, im März 2004

 
 

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Verlagsankündigungen
:

Beck-Verlag 1979:
Im Jahre 1897 gab der 41jährige Freud unter dramatischen Umständen eine bis dahin von ihm vertretene Theorie der psychischen Entwicklung, die "Verführungstheorie", auf und ersetzte sie durch die Theorie vom Ödipus-Komplex, die zu einer wichtigen Grundlage der Psychoanalyse wurde. Die "Verführungstheorie" hatte behauptet, daß Neurosen auf sexuelle Verführungserlebnisse in der frühen Kindheit zurückgehen, nach der Ödipus-Theorie werden sexuelle Erlebnisse von Kindern nur phantasiert. Die Autorin weist nach, daß Freud die Verführungstheorie aufgab, weil er seine eigenen neurotischen Symptome auf Kindheitserlebnisse hätte zurückführen müssen, dies aber aus Pietät gegenüber seinem gerade verstorbenen Vater Jakob nicht vermochte. Um diese Kindheitserfahrungen Freuds zu verstehen, rekonstruiert die Autorin das Leben Jakobs vor dem Hintergrund des geistigen Milieus des galizischen Ostjudentums, wobei sie sich auf teilweise noch unveröffentlichtes Archivmaterial stützen kann. Das Buch schließt mit einer Darstellung von Freuds Auseinandersetzung mit der Figur des biblischen Moses, die ihn bis zu seinem Tode beschäftigte und in der seine konflikthafte Vaterbindung symbolischen Ausdruck fand.
Eine aufsehenerregende Studie für alle an der Psychoanalyse interessierten Wissenschaftler und Laien.

Fischer Taschenbuch Verlag 1992:
Die Bonner Sozialwissenschaftlerin Marianne Krüll hat mit ihrer 1979 erschienenen Studie als erste auf die eminente Bedeutung der sogenannten Verführungstheorie Sigmund Freuds hingewiesen. Im Unterschied zu anderen Autoren verknüpft Marianne Krüll Freuds theoretische Neuorientierung in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die zur Entstehung der Psychoanalyse führte, mit seiner eigenen Herkunft und der seiner Vorfahren. Ihre Untersuchung bietet ein faszinierendes Psychogramm der frühen Familien-Beziehungen Freuds, die seine Gedanken prägten und auch noch in seinem letzten Werk über den biblischen Moses ihren Niederschlag fanden. Das vorliegende Buch, ein Standardwerk der Freud-Forschung, ist ins Englische, Französische, Italienische und Japanische übersetzt worden. Die Taschenbuchausgabe ist um neues Forschungsmaterial ergänzt worden.

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Aus Rezensionen:

"Familiendynamik - Interdisziplinäre Zeitschrift für Praxis und Forschung" Heidelberg, April 1981. (Zuerst englisch: "Family Process" Sept. 1980) Sophie Freud Loewenstein:
Krülls Buch liest sich wie ein faszinierender Detektivroman. Am Anfang steht ein Geheimnis, bzw. eine Tat: Freud entdeckt die Verführungstheorie und gibt sie plötzlich auf. Die Gründe für diesen unverständlichen Widerruf müssen gefunden werden. Sie liegen in Freuds Vergangenheit ... Mit den vielen, höchst diversen Fakten führt Krüll dann einen Indizienbeweis. ... Die Dichte ihrer Argumentation, ihre extrem sorgfältige Dokumentationsleistung, die Mehrfachdeterminiertheit der einzelnen Belege und die innere Konsistenz ihrer Behauptungen - alles dies macht ihre Beweisführung außerordentlich schlüssig. ... Wie bei einem guten Kriminalroman kann man Krülls Buch kaum weglegen, wenn man einmal mit dem Lesen angefangen hat. Ihr klarer und eleganter Stil führt uns mühelos durch die Geschichte. Ihre gelegentlichen Zusammenfassungen, in denen sie die zusammengetragenen Details resumiert und integriert, sind dem Leser eine große Hilfe. ... Krüll bezieht sich auf familiendynamische Theorien, ihr Buch ist vor allem ein Stück psychohistorischer Forschung, das auf psychoanalytischen Theorien und Methoden zur Analyse der Vergangenheit basiert. ...
Als eine Enkelin Sigmund Freuds kann ich diesem Buch gegenüber nicht objektiv sein, da es eine so tiefe, persönliche Bedeutung für mich hat. Es gab mir die aufregende Gelegenheit, meine eigenen Wurzeln im Ostjudentum des l8. Jahrhunderts zu entdecken. Es konfrontierte mich mit meinen eigenen lebenslangen Konflikten, die durch Delegationen, Loyalität für und Verrat an der Tradition der Freud-Familie in mir entstanden sind. ... Krülls Arbeit ist eine höchst gewissenhafte und eindrucksvolle wissenschaftliche Leistung. Sie hat ein brillantes, originelles Buch geschrieben, das über seine wissenschaftliche Bedeutung als Beitrag zur Weiterentwicklung der psychoanalytischen Theorie hinaus auch zu einer allgemeinen Reflexion über das Wesen kreativen Denkens anregt. Ich begrüße es, daß Marianne Krüll dieses Buch geschrieben hat, weil ich meine, daß es ... aus dem Bemühen um Versöhnung und aus echter Liebe entstanden ist.

"Die Presse" Wien. Juli 1979. Lore Toman:
Ein interessantes, facettenreiches und spannendes Buch, das durch familientheoretische Erwägungen völlig neue Einsichten in Freud und die Psychoanalyse ermöglicht.

"Frankfurter Allgemeine Zeitung" August 1979. Rainer Kakuska:
Freud und sein Vater, das ist für (Marianne Krüll) die zentrale, nie wirklich verarbeitete Bindung gewesen, der die Psychoanalyse ihre Entstehung, aber auch ihre Unzulänglichkeiten verdankt. Marianne Krüll versucht nachzuweisen, wie Freud mit Hilfe seiner Theorie zwar seine ungelösten Probleme aufgriff, sie aber gleichzeitig so formulierte, daß er seine traumatischen Kindheitserlebnisse verdrängen konnte. ... Ausführlich rekonstruiert die Autorin die Krise, die Freud nach dem Tod seines Vaters durchmachte und in deren Verlauf er die Grundgedanken der Psychoanalyse entwickelte. Hier liest man naturgemäß viele Dinge, die sich auch in anderen Biographien finden. Anders ist dies in den Kapiteln, in denen sie genauer auf das eingeht, was sonst meist pauschal als Freuds jüdisches Erbe bezeichnet wird. Sie beschreibt das Leben in den ostjüdischen Gemeinden, aus denen Freuds Vater stammte, gibt einen Überblick über die sozialen Veränderungen, die zu dieser Zeit im Judentum stattfanden, und zeichnet auch die Biographie von Kallaman Jacob Freud nach, soweit sie bekannt ist. Gerade für Leser, die mit Freuds Lebensgeschichte schon etwas vertraut sind, werden diese Abschnitte wohl eine wesentliche Bereicherung darstellen. Das Buch besticht durch seine außerordentlich gründliche Dokumentation und die sachliche Darstellung.

"Der Spiegel" Hamburg. Dezember 1984. Klaus Franke:
... (Einer) Schweigepflicht sei Freud gefolgt, als er die Verführungstheorie aufgegeben habe - das jedenfalls behauptet die Bonner Soziologin Marianne Krüll, die in ihrem Buch "Freud und sein Vater" schon vor Jeffrey Masson die Freudsche Kehre zu deuten versuchte, wobei sie den Gründervater der Psychoanalyse gleichsam selber auf die Couch legte. Marianne Krüll zufolge, die das Vexierspiel psychoanalytischer Deutungskünste virtuos beherrscht, trennte sich Freud von der Blutschande-Theorie, weil er durch sie die Ehre seines eigenen Vaters bedroht sah, der im Jahre 1896 ... gestorben war. Der auf die erschütternden Analyse-Ergebnisse aus seiner Praxis fixierte Freud hatte damals ... sowohl bei sich wie bei einigen seiner Geschwister Hysterie-Symptome diagnostiziert, was in ihm ... den Verdacht habe aufkommen lassen, Vater Jakob Freud habe sich einst ebenfalls der Kinderverführung schuldig gemacht. Nach dem Tod des Vaters, glaubt Marianne Krüll, habe Sohn Sigmund jede Hoffnung aufgeben müssen, die väterliche Unschuld jemals zweifelsfrei ermitteln zu können. Tatsächlich geriet Freud um die fragliche Zeit in eine tiefe neurotische Krise. ... Er erlitt eine "Schreiblähmung". ... Freud, so beschreibt Marianne Krüll die Metamorphose, "gab es auf, nach der Schuld des Vaters zu suchen, er widerrief die Verführungstheorie und nahm statt dessen als treuer Sohn die Schuld allein auf sich, indem er die Ödipustheorie an ihre Stelle setzte." ... Für Marianne Krüll jedenfalls gleicht die mysteriöse Wandlung einem kreativen Befreiungsschlag, mit dem sich Freud vielerlei private wie wissenschaftliche Probleme vom Hals schaffte; ... sie findet freilich, daß es "unbedingt an der Zeit" sei, "der frühen Theorie Freuds zu ihrem Recht zu verhelfen".

"Bild der Wissenschaft" Oktober 1979. Peter R. Hofstätter:
(Man) liest das Buch mit Spannung und Gewinn, weil die Autorin sich im Opus Freuds gut auskennt und weil bisher wohl noch niemand die Freiberger Kinderjahre des Meisters so genau untersucht hat wie sie. Was man von ihr über den kulturellen Rahmen, das jüdische Leben in Galizien und in Mähren erfährt, ist in der Tat höchst beachtlich.

"Frankfurter Rundschau" Dezember 1979. Trudy Schmidt:
... die Lektüre des vorliegenden Buches bietet Anlaß zu erfreulichen Überraschungen. ... Persönlich, doch nicht distanzlos schildert Marianne Krüll ihre wechselvolle Beziehung zu Leben und Werk von Sigmund Freud. Ihr Hauptproblem bestand darin, daß sie als Deutsche und Nicht-Jüdin sich das Verständnis für das Ostjudentum allmählich erarbeiten mußte. ... Mit wissenschaftlicher Gründlichkeit, mit manchmal detektivischem Spürsinn zeigt Marianne Krüll an Hand von lebensgeschichtlichen Tatsachen die Quellen, Grundlagen, Entwicklung und Grenzen der psychoanalytischen Theorie. ... Die lebendig aufgebaute Konfrontation von Herkunft, Leben und Werk von Sigmund Freud wird in diesem Buch noch sehr bereichert durch Stammbäume, Faksimile von Geburtsteintragungen, ... alten Fotos, ... Zeittafeln, sowie durch ein beachtliches Literaturverzeichnis.

"Merkur - Deutsche Zeitschrift für Europäisches Denken" Februar 1980. Helm Stierlin:
Marianne Krüll ... schrieb den Familienroman Freuds gleichsam neu. Sie befragte alle Arbeiten Freuds, insbesondere seine Briefe und bisher publizierten Träume, auf ihren autobiographischen Aussagewert hin, und sie überprüfte die Arbeiten der bisherigen Freud-Biographen. Dabei rekonstruierte sie das Leben der Juden in Tysmenitz, der galizischen Heimatstadt von Freuds Vater Jakob, besuchte das mährische Freiberg, die Geburtsstadt Sigmund Freuds, in der er bis zu seinem dritten Lebensjahr wohnte, und sie beschäftigte sich intensiv mit dem Wien der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in dem Freud seine Jugendjahre verbracht hat. Marianne Krülls zentrale Erkenntnis: Freud gab die Verführungstheorie auf, als er in seiner Eigenanalyse nahe daran war, in seinen eigenen Eltern verführendes und traumatisierendes Verhalten zu erkennen ... Dieser Widerruf zeigt sich somit als ein Akt der Loyalität gegenüber den Eltern, insbesondere aber gegenüber dem Vater: Freud führte neurotisches (und auch psychotisches) Leiden nicht mehr auf tatsächliche elterliche Einflüsse und Traumata, sondern auf die die Patienten überwältigenden konflikthaften Triebe und Phantasien zrurück. Ihre theoretische Legitimierung fand diese neue Sicht im sogenannten Ödipus-Komplex, den Freud in der Folge zur theoretischen Grundlage der Psychoanalyse erklärte. ... Diese Ödipus-Theorie ... kehrte die Verführungstheorie um oder, viellelicht richtiger, kehrte die Rollen und Rechenschaftspflichtigkeit von Eltern und Kindern um: Vater und Mutter fungierten nicht mehr als tatsächliche und aktive Verführer. Sie zeigten sich nur noch als passive Objekte kindlicher Wünsche.

"Allgemeine Zeitung" Mainz, Juli 1979. Georg Ramseger:
Der Werbetext des Verlags übertreibt nicht, ... (die Studie) fesselt auch diejenigen, denen die Psychoanalyse selber relativ wenig bedeutet und die wirklich "Laien" sind. ... Nicht zuletzt beruht der Genuß, den wir an diesem Buche haben, auf der detektivischen Methode, mit der die Autorin ihren Gegenstand verfolgt. Phantasie und Mut zur kühnen Spekulation gehören dazu. Hier wird die Negativ-Kritik ihr Mütchen kühlen wollen und gelegentlich wohl auch können. Die Glaubwürdigkeit der Autorin wird darunter nicht leiden. ... Marianne Krüll verfügt über ein schmuckloses, sachliches und dennoch gefälliges Parlando, das wir in jeder Silbe ernst nehmen, ohne uns dabei zu strapazieren. Das ist eine Leistung, auf die Frau Krüll stolz sein kann. ... Schlüsselwort: rundum ergiebig.

"Jahrbuch der Psychoanalyse" Band 13, Stuttgart 1981.
Kurt R. Eissler: Ein Brief an Frau Dr. Marianne Krüll.
New York, 18. Juni 1979:
Sehr geehrte Frau Krüll,
Entgegen meinem ersten Briefe an Sie konnte ich doch nicht der Versuchung widerstehen und, einmal gefangen von Ihrer außerordentlichen darstellerischen Begabung, war ich gezwungen, meine Freizeit der Beendigung der Lektüre Ihres Buches zu widmen. Ihr Buch ist gefüllt mit wichtigem geschichtlichem Material. Sie bringen eine Fülle von Daten, Dokumenten und Sonstigem, die zu eruieren die Aufgabe des Sigmund Freud Archivs gewesen wäre, dessen Sekretär ich bin. Ich bin Ihnen daher persönlich dankbar, daß Sie Material von Wichtigkeit für eine zukünftige objektive Freud-Biographik vor Verlust und Vergessenheit bewahrt haben. ... Zum Schluß noch einen allgemeinen Punkt: Sie sind weise genug, nicht den Schluß zu ziehen, daß, was immer der persönliche Hintergrund einer wissenschaftlichen Theorie ist, man aus demselben auf Richtigkeit oder Falschheit der Theorie schließen könne. Trotzdem schreiben Sie: "Ich bin allerdings der Meinung, daß man Freuds Theorie nicht unbesehen übernehmen darf, sondern genau prüfen muß, welche Teile Freud der Verschleierung der eigentlichen Fragen dienten, da sie das Tabu Jakobs berühren." - Mag sein. Aber um zu entscheiden, ob Ihre Entschleierung richtig ist, müßten Sie Ihre Kindheitsgeschichte ... erzählen, damit wir ersehen können, daß (Sie) die richtige Disposition zur Freud-Kritik (haben). ... Ich schlage Ihnen also vor, daß man einen Kongress aller Freud-Kritiker einberuft. Es wird ein Riesenkongreß sein, Adlerianer, Jungianer, Reichianer und eine fast unübesehbare Menge jener, die sich an Einzeltheorien gestoßen haben. ... endlich werden wir die Tatsachen vor uns sehen und die Kindheitsgeschichten Freuds, Adlers, Jungs und deren Kritiker vergleichen und denjenigen aussuchen können, der berechtigt ist, den ersten Stein zu werfen. ... Hoffend, daß Sie ... ebenso bescheiden sind, wie Freud es war, verbleibe ich, Ihr Ihnen ergebener K.R. Eissler, M.D.

Marianne Krüll: Ein Brief an Dr. Kurt R. Eissler.
Bonn, den 7. Juli 1979.
Sehr geehrter Herr Eissler,
Ich danke Ihnen sehr für Ihre ausführliche und sehr anregende Stellungnahme zu meinem Buch ... Ihre lobenden Worte haben mich natürlich besonders gefreut, aber ich bin Ihnen auch für alle kritischen Bemerkungen sehr verbunden. ... Ich stimme Ihnen vollkommen zu in Ihren Ausführungen über die Heterogenität der Rezeptionen Freudscher Gedanken. Es ist auch mein Eindruck, daß jeder, der sich mit Freud kritisch oder positiv rezipierend auseinandersetzt, seine eigene Person und die besonderen Erfahrungen mit den eigenen primären Bezugspersonen mit einbringt. Der von Ihnen scherzhaft vorgeschlagene Kongreß müßte in der Tat zum Hauptthema haben, weshalb die einen Autoren Freud so und die anderen ihn anders rezipiert haben. Dies müßte vor dem Hintergrund der Biographien, des sozialen und politischen Standorts usw. des jeweiligen Autors geschehen. Keine dieser Rezeptionen Freudscher Gedanken dürfte den Anspruch auf absolute Wahrheit oder Richtigkeit erheben, jede wäre nur im Hinblick auf bestimmte Erkenntnisziele gegen die andere abzuwägen. Ich ... (würde sehr gern) auf einem solchen Kongreß die Zusammenhänge zwischen ... (meinen) Kindheitserlebnissen und (meiner) spezifischen Sicht der Person und Theorie Freuds ... aufzeigen. Ich würde dann ganz besonders gespannt sein auf Ihre Darstellung der biographischen Hintergründe für Ihre eigene Einstellung zu Freud und seinen Gedanken, über die Sie sicher sehr genau bescheid wissen. ... Mit den besten Grüßen und nochmals herzlichem Dank, Ihre M. Krüll.


"The New York Times" August 1986, (zur amerikanischen Ausgabe) John Gross:
The real strength of her book lies in its re-examination of Freud's background and his early life, chiefly in the light of his relationship with his father Jacob. In addition to her own skilful detective work, she has drawn on some little-known recent research in Czechoslovak and Austrian archives, and pieced together a sensitive account of Jewish life in Tysmenitz, the small town in Galicia where Jacob Freud grew up. The story she has to tell is frequently fascinating, even exciting - and not the less so for being recounted soberly with no straining for effect. ... She also provides a good deal of intriguing documentation, ... full of interest.

 
 
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